In der gestrigen Landespressekonferenz (LPK) hat die stellvertretende Senatssprecherin Julia Offen die aktuelle Corona-Situation in Hamburg erläutert. Auf Grund der steigenden Inzidenz steht Hamburg kurz vor der „Notbremse“, also der Rückkehr zu alten Einschränkungen. Die Kritik an den Maßnahmen wird indes immer lauter.
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Eine gute Nachricht von der LPK: auch nach der AstraZeneca-Pause können die bisher vereinbarten Termine bedient werden. Mit den guten Nachrichten war es das dann in Sachen Corona aber auch schon.
Die 7-Tage-Inzidenz lag gestern laut den Ausführungen bei 90,9, wobei das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Inzidenz von 82 gemeldet hat. Zum Verständnis: schon seit geraumer Zeit berechnet Hamburg eine eigene Inzidenz, die von der „offiziellen“ Inzidenz des RKI mal mehr, mal weniger abweicht – bisher allerdings immer nach oben.
Der Senat erwartet in den nächsten Wochen, dass die Inzidenz die Marke von 100 überschreiten wird, und kündigte an, dass Hamburg sich an den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) halten wird und die „Notbremse“ greifen soll. Konkret bedeutet dies, das ab einer Inzidenz von 100, die drei Tage oder länger anhält, wieder restriktivere Einschränkungen gelten sollen:
- Einkaufen nach dem Modell „click & meet“, also vor Ort im Geschäft, wird wieder verboten. „click & collect“, also Vorbestellen und Abholen, soll weiterhin erlaubt sein.
- Treffen mit anderen Haushalten wird wieder auf eine Person beschränkt.
- Sport im Freien wird wieder nur noch einzeln erlaubt sein.
- Museen, Galerien, Ausstellungshäuser, sowie zoologische und botanische Gärten, müssen wieder schließen.
Befremdlich: am 22. März sollte eigentlich ein weiterer Öffnungsschritt erfolgen, den der Senat aber bereits jetzt, also auch, wenn am 22. März die Inzidenz von 100 noch nicht erreicht sein wird, abgesagt hat. Wieder einmal bricht der Senat somit seine Zusagen.
Ebenfalls befremdlich: der Senat hat bisher für seine Entscheidungen immer den RKI-Wert herangezogen; Bürgermeister Dr. Tschentscher hat das damit begründet, dass dieser Wert der „offizielle, also der rechtsverbindliche“ Wert ist. Gestern war davon auf einmal nichts mehr zu hören, Hamburg will sich künftig an seinem eigenen, und nicht mehr am offiziellen, Wert orientieren.
Eine Anfrage, wie Grundrechtseinschränkungen mit einem „nicht-offiziellen“ Wert begründet werden sollen, ließ der Senat bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.
Der Widerstand gegen die Einschränkungen wächst unterdessen. Vergangene Woche ist das Verwaltungsgericht zu dem Schluss gekommen, dass die bestehende Maskenpflicht für Jogger, so wie sie derzeit gilt, zu grob gehalten und nicht ausreichend begründet ist. Für einen Jogger hatte das zur Folge, dass er künftig auch ohne Maske joggen darf; die Stadt hat bereits Beschwerde eingelegt.
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) kritisiert die Maßnahmen in Hamburg mittlerweile scharf, sie sieht sich als Prellbock zwischen Bürger und Politik und gibt zu bedenken, dass die Akzeptanz für Maßnahmen schwindet, wenn sie nicht mehr nachvollziehbar sind. Die Maßnahmen versteht die DPolG in letzter Zeit nur noch als „Aktionismus“.
Man ist kein Corona-Gegner, wenn man beispielsweise die Maskenpflicht in der Mönckebergstraße oder beim Joggen um die Alster kritisch hinterfragt.
DPolG-Landeschef Thomas Jungfer
Die Kritik prallt am Senat hingegen ab, dort sieht man lediglich die Regelung als unglücklich formuliert an, nicht die Regelung an und für sich. Und das, obwohl der Senat, wie auf Nachfrage von HAMBURG INSIDE eingestanden werden musste, keine Mediziner zu Rate gezogen hat, bevor beispielsweise die Maskenpflicht für Jogger erlassen wurde. Erneut muss sich der Senat also den Vorwurf gefallen lassen, Regelungen zu erlassen, ohne Experten anzuhören. Daran ändert auch der Hinweis von Frau Offen nichts, dass der Senat in „regelmäßigem Austausch“ mit Experten stünde.
Besonders die Maskenpflicht im Freien wird mittlerweile von Forschern immer heftiger als nicht erforderlich kritisiert. Auch auf Demos wird die Maskenpflicht scharf kritisiert; Problem an den Demos: die Maske wird dort schlicht „verteufelt“, anstatt sich, wie es die Wissenschaftler tun, auf sachlicher Basis damit auseinanderzusetzen.
Das schadet eher, als dass es nutzt: ein Jeder, der sachlich über die Maske diskutieren will, wird automatisch in eine Ecke mit den Demonstranten gestellt, die im gleichen Atemzug Ken Jebsen beklatschen oder allen Ernstes fordern, dass die Regierung auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden müsse.
Bei stern TV (die ganze Folge gibt es bei TV NOW) sind vergangene Woche drei ausgewiesene Fachleute aufeinander getroffen: Prof. Alexander Kekulé (Arzt, Biochemiker und Publizist), Dr. Gerhard Scheuch (Aerosolforscher) und Prof. Karl Lauterbach (SPD, Arzt und Gesundheitspolitiker) stritten darüber, ob Masken im Freien überhaupt sinnvoll sind.
Kekulé und Scheuch sprachen sich für ein deutliches Nein aus, Lauterbach hielt dagegen:
Wer die Sendung aufmerksam verfolgt hat, wird etwas feststellen, was auch viele Fachleute in letzter Zeit immer öfter kritisieren: es gibt keine gesicherten Erkenntnisse darüber, dass das Tragen einer Maske im Freien sinnvoll ist.
Zugegeben, es gibt auch keine gesicherten Erkenntnisse, dass sie nicht vielleicht doch helfen kann, aber so funktioniert unser Staat nicht. Der Staat muss jeden Eingriff in die Grundrechte akribisch begründen und immer wieder neu prüfen, ob der Eingriff noch gerechtfertigt ist. Das findet in letzter Zeit, so die Kritik auch vieler Juristen, nicht mehr statt. Oftmals genügt die bloße Möglichkeit einer abstrakten Gefahr, um Grundrechte fortwährend einzuschränken.
An einer Stelle scheint es so, als würde Lauterbach sich „verplappern“ und will den Fehler schnell korrigieren.
Sie müssen doch argumentieren, dass es sicher ist!
Prof. Karl Lauterbach
Das lassen die Diskussionsteilnehmer nicht gelten und erklären Lauterbach sofort, dass das so nicht klappt. Kurz danach rudert Lauterbach zwar zurück und sagt, das wäre so falsch dargestellt worden, aber da ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen.
Fazit: Hamburg hat immer noch keine wirksame Corona-Strategie, hält am Lockdown als einzige Maßnahme fest und orientiert sich an einem inoffiziellen Wert, der nach der Aussage Tschentschers nicht einmal rechtsverbindlich ist.
Der befürchtete Dauer-Lockdown rückt damit immer näher.