Virus-Variante war früher, heute spricht man von „Mutanten“. Allerdings erst seit Corona. Was macht Sprache mit uns, wie leicht lassen wir uns unterbewusst manipulieren?
Meistens kriegt man es gar nicht so genau mit: Gesprochenes nimmt man für gewöhnlich hin, ohne zu hinterfragen, ob das, was man da so hört, eigentlich stimmt. Unterbewusst kann Gesprochenes aber einiges bei uns auslösen.
In letzter Zeit wird oft ein bestimmtes Gefühl angesprochen: Angst. Besonders vor dem Hintergrund von Corona, versucht die Regierung immer öfter, auf emotionaler Basis Verständnis für die Maßnahmen zu erzeugen. Viele Medien übernehmen, bewusst oder unbewusst, die Sprache der Regierung und tragen damit nicht unerheblich zur „Angststimmung“ bei.
Die Planlosigkeit der Regierung wurde letzte Woche besonders deutlich: die angestrebte 7-Tage-Inzidenz wurde von 50 auf 35 gesenkt. Einfach so. Belastbare Gründe gab und gibt es nicht, das hat die Politik mittlerweile auch eingestanden.
Sowohl der alte Wert von 50, wie auch der neue Wert von 35, sind von der Politik frei gewählte Werte. Es waren keine Wissenschaftler, Ärzte oder andere Experten beteiligt. Übrigens eine Tatsache, die auch in einer Verfassungsbeschwerde, die ein Richter dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hat, zur Sprache kommt.
Angeblich sei, so die Politik, eine Nachverfolgbarkeit der Infektionsketten nur bei einer Inzidenz von 50 oder weniger möglich. Eine Aussage, der viele Bürgermeister und Gesundheitsämter mittlerweile öffentlich widersprechen – auch in Hamburg.
Begründet wurde der neue Wert mit einer dringend benötigten „Pufferreserve“, man könne die neuen Mutanten von Covid-19 noch nicht einschätzen.
Mutanten: das klingt gefährlich. Mit einem Mutanten verbindet kaum jemand etwas positives. Von eingefleischten Marvel-Fans mal abgesehen.
Dieses Gefühl, dass das Wort auslöst, ist kein angenehmes. Das mag auch ein Stück weit daran liegen, dass man von Mutanten oder Virusmutationen vorher eigentlich noch nie was gehört hat. Bisher kannte man, wenn überhaupt, den Begriff einer Virusvariante. Das hört man beispielsweise immer im Herbst, wenn an die Grippeschutzimpfungen erinnert wird: jedes Jahr gibt es eine neue Virusvariante der Influenza, weshalb eine neue Grippeschutzimpfung erforderlich wird.
Dass Viren „mutieren“, ist normal, wie Christian Drosten in dem regelmäßig erscheinenden NDR-Podcast erklärt. Nur eben bisher nicht unter diesem Namen.
Googlet man Virus-Mutation, so erscheinen (Stand heute) auf den ersten vier Seiten ausschließlich Hinweise zu Corona. Ein Begriff, den es vor der Pandemie offensichtlich nicht gegeben hat.
Ein weiteres Beispiel lieferte der Bürgermeister Dr. Tschentscher letzte Woche: der neue Inzidenzwert von 35 wurde gewählt, um eine erneute Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.
Klingt harmlos. Aber auch hier liegt der Teufel, betont unauffällig, im Detail: eine erneute Überlastung des Gesundheitssystems soll verhindert werden.
Das hat uns aufhorchen lassen, so dass wir in der Landespressekonferenz der letzten Woche gefragt haben: „Gab es bisher eine Überlastung des Gesundheitssystems in Hamburg? Wenn ja, wann hat diese Überlastung stattgefunden und wie hat sie sich dargestellt?“.
Die Antwort des Bürgermeisters war ausweichend. Man müsse sich klar machen, dass die Virusmutation (da war das böse Wort wieder) für alle unbekannt sei. Daher hat die Politik sich selbst diese Reserve verordnet.
Wir haben bei der zuständigen Sozialbehörde (die Gesundheitsbehörde hat Hamburg mitten in der Pandemie aufgelöst) nochmal nachgefragt, und ihr Sprecher musste eingestehen:
„Das Gesundheitssystem war in einzelnen Teilen des Landes bereits überlastet – in Hamburg war dies bisher nicht der Fall“.
Von einer erneuten Überlastung war ganz plötzlich nicht mehr die Rede.
Die unterbewusste Botschaft ist, auch bei anderen Journalisten, allerdings offensichtlich angekommen. Niemand war sich sicher, dass es in Hamburg nicht doch schon mal eine Überlastung gegeben hätte.
Dass die Politik ihre Worte nicht unbedacht oder „aus Versehen“ so drastisch wählt, ist Kalkül. Das Bundesinnenministerium hat bereits im April 2020 ein sogenanntes „Strategiepapier“ entwickeln lassen. Das Papier wurde zur Geheimsache erklärt: VS – NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH steht über jeder Seite.
Dem Portal FragDenStaat.de ist es allerdings gelungen, die Herausgabe des Papiers einzuklagen. Das Innenministerium hat dann letztendlich, um zumindest ein klein bisschen Glaubwürdigkeit zu behalten, das Papier im Mai 2020 auch auf seiner Website veröffentlicht.
In dem Papier wird der Kurs der Politik klar, ganz unverblümt schreiben die „Experten“ dort:
„Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden:
- Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend.
- „Kinder werden kaum unter der Epidemie leiden“: Falsch. Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.
- Folgeschäden: Auch wenn wir bisher nur Berichte über einzelne Fälle haben, zeichnen sie doch ein alarmierendes Bild. Selbst anscheinend Geheilte nach einem milden Verlauf können anscheinend jederzeit Rückfälle erleben, die dann ganz plötzlich tödlich enden, durch Herzinfarkt oder Lungenversagen, weil das Virus unbemerkt den Weg in die Lunge oder das Herz gefunden hat. Dies mögen Einzelfälle sein, werden aber ständig wie ein Damoklesschwert über denjenigen schweben, die einmal infiziert waren. Eine viel häufigere Folge ist monate- und wahrscheinlich jahrelang anhaltende Müdigkeit und reduzierte Lungenkapazität, wie dies schon oft von SARS-Überlebenden berichtet wurde und auch jetzt bei COVID-19 der Fall ist, obwohl die Dauer natürlich noch nicht abgeschätzt werden kann. […]“
So abstrus das klingt, die Regierung hat ein Papier geheimzuhalten versucht, in dem ihre Strategie so formuliert wird, dass bei der Bevölkerung eine Schockwirkung erzielt werden soll. „Urängste“ sollen angesprochen werden, kleinen Kindern soll damit Angst gemacht werden, dass sie „Oma und Opa auf dem Gewissen haben“.
Bezeichnend ist, dass die Bundeskanzlerin Szenario Zwei auch tatsächlich in ihrer „emotionalen Dezember-Rede“ genutzt hat. Ob man es denn verantworten kann, dass man mit Oma und Opa nie wieder Weihnachten feiern können wird, nur, weil man jetzt nicht durchgehalten habe.
Sprache ist mächtig. Besonders, wenn man, wie Politiker, entsprechend geschult ist, und weiß, welche Wirkung Worte entfalten können. Es bleibt abzuwarten, welche Worte uns künftig aus der Politik erreichen.