Nord – Erst die Schanze, nun der Stadtpark. Auch, wenn der Senat sich das so gerne wünscht, die Menschen lassen sich nicht mehr weiter einschränken, sie wollen wieder leben. Außer Verbote kann der Senat allerdings immer noch nichts liefern. Aber ist es im Stadtpark wirklich so schlimm, wie berichtet wird? Wir haben uns Samstag umgeschaut – und zwar nicht erst nachts.
Nach den Exzessen in der Schanze hat die Politik reagiert – und ist dabei gehörig ins Fettnäpfchen getreten. Ein Alkoholverbot auf der Schanze (da ist es eskaliert) und auf der Reeperbahn (da lief alles rund, wie der Innensenator eingestehen musste) führten nicht dazu, dass die Menschen um 23 Uhr brav nach Hause gehen, sondern sich andere Räume suchen. Kritik gab es reichlich, von Fachverbänden, von anderen Parteien, und zuletzt auch von der Polizei selbst über ihre Gewerkschaft.
Es ist doch klar, wenn vernünftige Alternativen wie zum Beispiel Veranstaltungsangebote für Geimpfte, Genesene oder Getestete fehlen, dass sich das Party-Volk selber seine Locations aussucht.
Thomas Jungfer, Hamburger Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft
Konsequenz: die „Feiermeute“ entert wochenendes den Stadtpark, randaliert, greift die Ordnungshüter an und hinterlässt einen Riesenhaufen Müll – so zumindest die Berichterstattung der meisten Medien.
Was passiert aber vorher? Also bevor die Feiermeute dort den Berichten zufolge anfängt, auszurasten? Und stimmen die Berichte überhaupt? Wir sind der Frage nachgegangen und haben uns vergangenen Samstag im Stadtpark umgeschaut, und zwar bereits ab dem Nachmittag.
Was auffällt: erstaunlich friedlich, erstaunlich ruhig, erstaunlich wenig Polizei – zumindest, bis es anfängt, zu dämmern. Auf der Festwiese findet man überall Grüppchen, aber irgendwie auch nicht mehr, als in einem normalen Sommer ohne Corona. Es wird getrunken, gegrillt, Ball gespielt, Musik gehört und hier und dort läuft man durch eine süßlich riechende Duftwolke. Auch von den Riesenhaufen Müll, von denen berichtet wird, ist – zu diesem Zeitpunkt – nichts zu sehen. Hier und dort liegen mal einzelne Flaschen herum, das ist nicht schön, aber soweit „normal“.
Auch im sonstigen Bereich des Stadtparks – keine besonderen Vorkommnisse. Ein paar Mutige baden schon, eine vom Alter her sehr heterogene Gruppe Menschen setzt sich über das Tanzverbot hinweg, lacht, tanzt und hat Spaß.
Da das Tanzen unter freiem Himmel momentan immer noch verboten ist – es droht ansonsten eine Überlastung unseres Gesundheitssystems, wie der Senat vermutet – haben wir die Gesichter der Tanzenden unkenntlich gemacht, um sie nicht der Gefahr einer Strafverfolgung auszusetzen.
Auch die Polizei ist noch entspannt, sie hat drei „mobile Wachen“ eingerichtet, zwei stehen auf der Seite zum See, eine auf der Seite Richtung Planetarium. Die beiden Standorte am See haben Lichtmaste, sie sorgen später für Beleuchtung im ansonsten stockdunklen Park. An der S-Bahnstation Alte Wöhr und der U-Bahnstation Borgweg stehen ebenfalls einige Streifenwagen und Polizisten, die sich schon mal anschauen, wer denn da so im Anmarsch ist und einfach Präsenz zeigen.
Als die Dämmerung einsetzt, beobachten wir etwas, womit wir nicht gerechnet haben: einige der Gäste packen zusammen und gehen. Kurz darauf strömen jedoch aus allen Richtungen immer wieder Grupen mit mehreren hundert Jugendlichen aus allen Zugängen in den Stadtpark, es wird laut, es herrscht viel Gebrülle und man hört die ersten Flaschen klirren. Vermutlich sind dies die eintreffenden U- und S-Bahnen.
Die Polizei hat im Hintergrund die Mannstärke deutlich erhöht, auch die ersten Bereitschaftspolizisten in Schutzanzügen sind mittlerweile präsent – kein bißchen zu spät, die ersten Flaschen fliegen aus den einzelnen Gruppen, ohne, dass es vorher auch nur ansatzweise Kontakt mit der Polizei gegeben hätte.
Fast unbemerkt scheint sich nahezu das komplette Publikum ausgewechselt zu haben: von den Gruppen, die wir am Nachmittag beobachten konnten, sind nur noch wenige auf der Festwiese. Viele offensichtlich Minderjährige, die in Gruppen von 10 bis 30 Mann auftreten, dominieren das Erscheinungsbild. Die meisten sind schon angetrunken, andere haben Bier, Jack Daniel’s oder Vodka-Flaschen dabei. Es wird gebrüllt, die leeren Flaschen werden ziel- und wahllos durch die Gegend geworfen und gehen auch oft zu Bruch – hier kommt also der immense Müll her, von dem man in letzter Zeit hört und liest.
Auf einmal geht alles recht schnell, es erfolgt eine Durchsage nach der anderen von der Polizei: Abstand halten, maximal 10 Personen, bei unzureichendem Abstand Maske tragen. Alles keine Dinge, die nach über einem Jahr Pandemie sonderlich überraschen. Dran halten tut sich so gut wie niemand, von Polizisten und Journalisten mal abgesehen. Die Polizei dringt mittlerweile auch immer wieder in die Mengen vor, treibt die Jugendlichen auseinander, vereinzelt gibt es Festnahmen von Flaschenwerfern.
Es entwickelt sich unglaublich schnell eine aggressive Dynamik, die mit den Szenen vom Nachmittag nichts mehr zu tun hat. Es ist noch nicht einmal 23 Uhr, als der erste Polizist von einer Flasche getroffen wird. Auch Unbeteiligte werden immer wieder von Flaschen getroffen. Immer und immer wieder gibt es Durchsagen von der Polizei, die darauf hinweisen, dass auch Unbeteiligte durch die Wurfgeschosse schwer verletzt werden können – vergebens.