Mitte – Wer in unserem Rechtssystem unvoreingenommene Richter erwartet, der wurde gestern am Amtsgericht Mitte eines besseren belehrt: dass das Urteil schon zu Beginn der Verhandlung feststand, schien den Anwesenden klar zu sein.
Das NOHO liegt am Ende der Reeperbahn und hat sich im Laufe der Jahre einen sehr exklusiven Ruf erarbeitet. Auch hier schlug Corona wie eine Bombe ein, als Club musste auch das NOHO zum Sommer hin seine Türen schließen.
Die Betreiber waren jedoch nicht untätig, sie renovierten und investierten viel Zeit & Geld in Umbaumaßnahmen und in ein Hygienekozept. Kurzerhand wurde das NOHO in einen Restaurantbetrieb umgewandelt, es wurden Stühle und Tische aufgebaut, Trennwände installiert, Hygienemaßnahmen erarbeitet.
Die „Umwidmung“ als Restaurant wurde von der zuständigen Behörde schließlich auch bestätigt und genehmigt.
Das neue Konzept das NOHO bot nach dem „Re-Opening“ Sushi auf entsprechende Vorbestellung an, welches dann ins NOHO geliefert, dort frisch zubereitet und anschließend den Gästen serviert wurde.
Dazu gab es Musik vom DJ, wenn auch nur leise im Hintergrund, und entsprechende Getränke, serviert vom eigens hierfür aufgestockten Servicepersonal.
Alles in allem also eine runde Sache, schickes Ambiente, leckeres Sushi und kalte Getränke.
Jeder, der zu Beginn der Re-Opening-Phase auf dem Kiez unterwegs gewesen ist, wird ähnliche Erfahrungen gemacht haben: Clubs haben ihr Konzept überarbeitet, Tanzverbot dort, wo eigentlich die Hütte brennt, stattdessen gastronomissche Angebote.
Dass sich natürlich nicht jeder an die Regeln gehalten hat, liegt in der Natur des Menschen, immer wieder mussten einige Gäste an die neuen Regeln erinnert werden (Abstand halten, kein Tanzen, kleine Gruppen), besonders hartnäckige „Regelbrecher“ wurden des Ladens verwiesen.
Diese Erfahrung musste auch das NOHO machen, es gab natürlich immer wieder Gäste, die – mal mehr, mal weniger intensiv – ihre Plätze verlassen, getanzt, geschunkelt haben. In der Regel reichte eine freundliche Ermahnung durch das Servicepersonal, in wenigen Fällen musste die Security aktiv werden und den Abend für diese Gäste beenden.
In der Nacht des 19. Juli hatte es das NOHO jedoch mit besonders uneinsichtigen Gästen zu tun, so dass das Servicepersonal den Betriebsleiter, der sein Büro nur wenige Etagen unter dem NOHO hat, verständigen musste.
Dieser veranlasste, dass die Musik komplett abgestellt wurde und eine unmissverständliche Ansage an die Gäste erging. Es wurde auf die Einhaltung der Corona-Regeln hingewiesen und für den Fall, dass diese nicht befolgt werden, ein Ausschluss von dem Abend angedroht – das hat gesessen, und zwar wortwörtlich: die Gäste blieben brav auf ihren Stühlen.
Etwa eine halbe Stunde später die Überraschung: die Polizei stand vor der Tür und teilte dem Betriebsleiter mit, dass es Beschwerden gäbe und man sich dazu entschlossen habe, das NOHO zu schließen. Der Betriebsleiter erklärte, dass er von den Verstößen wisse, diese aber mittlerweile abgestellt habe. Es liegt in der Natur der Sache, dass man nicht überall gleichzeitig sein kann, und die Gäste nur immer wieder ermahnen könne.
Der Einsatzleiter der Polizei wurde vom Betriebsleiter darauf hin ins NOHO gebeten, um sich selber ein Bild zu machen, was dieser jedoch kategorisch ablehnte. Die Entscheidung sei bereits im Voraus gefallen und würde jetzt umgesetzt werden, ungeachtet der aktuellen Situation. Ferner erklärte der Einsatzleiter, dass eine verdeckte Ermittlerin das NOHO bereits „inspiziert“ hätte und ebenfalls Personen feststellen konnte, die standen, und nicht saßen.
Alle Diskussionen nützten nichts, die Polizei schloss einen Laden, der sich zum Zeitpunkt der Kontrolle an alle Regeln hielt, seinen Gästen bereits den Ausschluss von der Veranstaltung angedroht und die Lage „im Griff“ hatte. Es folgte eine Anzeige wegen des Verstoßes gegen die Corona-Eindämmungsverordnung und am 21. September, also über zwei Monate später, erließ die Stadt einen Bescheid gegen den Betriebsleiter und setzte ein Geldstrafe in Höhe von 5.000 Euro gegen ihn fest.
Gegen diesen Bescheid legte der Betriebsleiter Rechtsmittel ein, so dass es gestern vor dem Amtsgericht Mitte zur Verhandlung kam. Geführt wurde die Verhandlung von einem Richter, der – offensichtlich – keinen guten Tag erwischt hat. Recht mürrisch und abgehetzt wurde die Verhandlung eröffnet, der Betriebsleiter und sein Anwalt legten ihre Sicht der Dinge dar und schilderten den Ablauf des Abends, sofern der Richter ihnen denn nicht in’s Wort gefallen ist.
Der Anwalt musste eingehends erstmal klarstellen, dass der Vorwurf, über den verhandelt wird, nämlich die „unzulässige Öffnung eines Tanzlokals“ unzutreffend ist, denn schließlich hat die Behörde die Öffnung als Schank- und Speisewirtschaft genehmigt.
Ein Umstand, der die Bußgeldbehörde offensichtlich nicht im geringsten gestört hat und auch dem Richter bei der Vorbereitung des Verfahrens nicht aufgefallen ist.
Die verdeckte Ermittlerin der Polizei, eine sehr junge Beamtin der weltbekannten Davidwache, wurde als Zeugin gehört und erklärte, dass sie feststellen konnte, dass die anwesenden Gäste teilweise an ihren Tischen standen und „schunkelten“, und sich teilweise auch durch die Räume bewegt haben.
Auf Nachfrage des Anwalts musste sie jedoch verneinen, dass es eine Tanzmöglichkeit gegeben hätte, schließlich war die Tanzfläche mit Stühlen und Tischen belegt.
Von dem Schunkeln hat die Beamtin jedoch ein Video angefertigt, welches eine Länge von etwa fünf Sekunden hat. Das Video wurde abgespielt, es waren Tische, Stühle, und daneben stehende Menschen zu sehen.
Warum sie denn während ihres halbstündigen Aufenthaltes nur ein Video von fünf Sekunden Länge angefertigt hat, wollte der Anwalt wissen. Wirklich beantworten konnte die junge Polizistin de Frage nicht, verwies nur auf „Polizeitaktik“: wenn jemand mit einem Handy in einem Club filmen würde, wäre man ja sonst sofort als Polizistin erkennbar, erklärte sie.
Spätestens hier wurde den Prozessbeobachtern klar, dass eine realitätsfernere Betrachtung kaum noch möglich ist – mehr filmende Handys als in einem Club gibt es vermutlich nur noch bei Naturkatastrophen.
Der Betriebsleiter erklärte, dass WCs in nur einer Etage des zweistöckigen Clubs vorhanden sind, ebenso wie die Raucherterrasse. Dass Leute sich also durch die Räumlichkeiten bewegen, ist logisch.
Für den Richter sollte das als Grund aber keineswegs reichen, er belehrte den Betriebsleiter in Form eines sogenannten rechtlichen Hinweises darüber, dass im Falle einer Verurteilung auch eine Verurteilung wegen Vorsatzes in Betracht komme und er in diesem Falle erwägt, die Geldstrafe deutlich zu erhöhren.
Er schlug daher vor, den Bußgeldbescheid zu akzeptieren. Wie man einem Betriebsleiter das Verhalten von Gästen als vorsätzlich unterstellen kann, blieb allerdings sein Geheimnis.
Nach dieser Ankündigung baten Anwalt und Betriebsleiter um eine kurze Unterbrechung, um sich zu beraten. Während dieser Unterbrechung wurde den Prozessbeobachtern klar, dass der Richter einen wirklich schlechten Tag erwischt haben muss, denn er erklärte seiner Protokollführerin „na, was hab ich heute Morgen noch gesagt… mal wieder one of those days“.
Er machte aus seinem Unmut über den Fall kein Geheimnis und erklärte, dass er ja schon den ganzen Tag „nur solche Verfahren“ zu verhandeln hätte.
Menschlich sicherlich nachvollziehbar, aber dass das Verfahren ganz offensichtlich unter dieser Laune gelitten hat, das hätte nicht passieren dürfen.
Nachdem sich der Betriebsleiter mit seinem Anwalt beraten hat, zogen sie den Widerspruch aus Angst vor der angedrohten Erhöhung des Bußgeles zurück und akzeptierten den Bußgeldbescheid.
Am Ende der Verhandlung stand folgendes fest:
- Der Betriebsleiter muss 5.000 Euro Bußgeld zaheln, obwohl er seinen Verpflichtungen nachgekommen ist.
- Niemand weiß so genau, was im Rechtssinne „Tanzen“ ist – offensichtlich reicht es schon, neben seinem Stuhl zu stehen.
- Fair und unvoreingenommen war dieses Verfahren sicherlich nicht.
Da kann man anderen Betroffenen nur wünschen, dass sie einen anderen Richter erwischen, oder einen Tag, an dem dieser Richter bessere Laune hat.