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Kein einziger Tag ohne Verspätung oder Ausfälle. Wir haben eine Analyse des letzten halben Jahres anhand der Facebook-Community-Beiträge und einer Befragung von 300 Fahrgästen durchgeführt. Das Ergebnis ist niederschmetternd.
Das Gemecker über die S-Bahn ist groß: von Tauben zugeschi***** Stationen, Dächer, durch die es durchregnet, Rolltreppen, die teilweise ein halbes Jahr unrepariert abgesperrt sind, mehr verspätete als pünktliche Züge beim täglichen Pendeln, und fehlende Informationen.
Es wird wohl kaum einen Pendler geben, der keine entsprechenden Erfahrungen gemacht hat.
Realität versus Social-Media-Team – zwei völlig unterschiedliche Wahrnehmungen
Wenn man sich aber mal so die Facebook-Community der S-Bahn anschaut, gelangt man irgendwie unweigerlich zu dem Eindruck, dass die S-Bahn den Unmut ihrer Fahrgäste überhaupt nicht nachvollziehen kann. Von „Einzelfällen“ ist dort die Rede, sorry, wenn es „mal“ zu Verspätungen kommt, oder es „dieses Mal“ mit einer Fahrt nicht geklappt hat.
Auf viele Beschwerden oder Nachfragen reagiert die S-Bahn überhaupt nicht mehr, über eine gewisse Resignation haben wir schon einmal berichtet. Geändert hat sich ganz offensichtlich nichts.
Hier scheinen also entweder die Fahrgäste, oder aber die S-Bahn, in einer anderen Welt zu leben. Um hier anhand von Fakten argumentieren zu können, haben wir uns daher an die Arbeit gemacht.
Erhebung der Zufriedenheit anhand von Facebook
Wir haben das letzte halbe Jahr herangezogen, und die Beschwerdegründe im Community-Bereich der Facebook-Seite der S-Bahn ausgewertet. Wir haben dafür alle Beiträge des letzten halben Jahres gelesen und erfasst, worüber sich die Fahrgäste beschweren. Die letzte Aktualisierung unserer Auswertung fand unmittelbar vor Veröffentlichung dieses Artikels statt.
Sofern die Fahrgäste sich in einem Beitrag über mehrere Themenkomplexe beschwert haben, wurde dies auch entsprechend mehrfach erfasst.
Nicht erfasst haben wir hingegen die weiteren Beschwerden, die sich beispielsweise in Kommentaren unter Beiträgen von der S-Bahn selber oder bei anderen Plattformen (meistens Twitter) gefunden haben.
Die große Überraschung bleibt aus, am meisten sind die Fahrgäste von Verspätungen und Ausfällen genervt, direkt gefolgt von fehlenden Informationen und einem schlechten Sicherheitsgefühl.
Kleine Überraschung: die Preise liegen erstaunlicherweise auf dem letzten Platz, vor der Verschmutzung und Beschädigungen.
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Beschwerdegrund | Anzahl |
---|---|
Verspätungen, Ausfälle | 52 |
fehlende Informationen | 17 |
mangelnde Sicherheit | 10 |
Beschädigung/Verschmutzung | 5 |
Preise | 2 |
sonstige Gründe | 26 |
UPDATE vom 28.01.2021: Die S-Bahn befördert an einem normalen Werktag täglich etwa 750.000 Fahrgäste. In der aktuellen Situation schätzt die S-Bahn die Anzahl auf etwa 500.000 Fahrgäste. Die Anzahl der Beschwerden ist daher nicht repräsentativ.
Direkte Befragung der Fahrgäste
Zusätzlich haben wir am 9. November 2020 an der S-Bahn-Station Harburg 100 Fahrgäste befragt, am 14. Dezember 2020 an der S-Bahn-Station Diebsteich 100 Fahrgäste befragt und am 18. Januar 2021 am Hauptbahnhof ebenfalls 100 Fahrgäste befragt.
Im Vorfeld der Befragungen wollten wir bei der S-Bahn unser Vorhaben entsprechend anmelden und genehmigen lassen – vergebens.
Kein Einblick in Kundenzufriedenheit für Dritte
Schon bei der telefonischen Anfrage, welche Stelle für eine entsprechende Genehmigung zuständig sei, haben wir mitgeteilt bekommen, dass die S-Bahn ausschließlich eigene Umfragen durchführt und externe Befragungen prinzipiell nicht genehmigt.
Wir haben die Befragung daher außerhalb der Haltestellen durchführen müssen.
Bei der Umfrage konnten die Befragten anhand der Eindrücke, die wir durch den Community-Bereich der Facebook-Seite gewonnen haben, aus folgenden Kategorien auswählen, um anzugeben, was sie an der S-Bahn am meisten stört:
- Verspätungen/Ausfälle
- fehlende Informationen
- Preise
- Verschmutzung/Beschädigung
- fehlerhafte Technik (Aufzüge, Rolltreppen, Beleuchtung, etc)
- mangelndes Sicherheitsgefühl
- sonstige Beschwerdegründe
- keine Beschwerdegründe, alles o.k.
Jeder Fahrgast konnte sich für maximal 3 Kategorien entscheiden. Zusätzlich haben wir die Fahrgäste gefragt, ob sie jemals an einer Umfrage der S-Bahn zur Kundenzufriedenheit teilgenommen haben.
Die Auswertung zeigt auch hier, dass der Eindruck der Fahrgäste „auf der Strecke“ in etwa das Stimmungsbild aus der Facebook-Community wiedergibt:
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Uns ist bewusst, dass eine Befragung unter lediglich 300 Fahrgästen keinen repräsentativen Charakter besitzt, allerdings ist eine umfassendere Befragung ohne Genehmigung der S-Bahn, die Befragung in den Station oder Bahnen durchzuführen, realistisch nicht durchführbar.
Hier wäre also Offenheit und Transparenz der S-Bahn erforderlich, die uns bisher verwehrt geblieben ist.
UPDATE vom 28.01.2021: Die S-Bahn weist darauf hin, dass sie Umfragen in der aktuellen Phase ohnehin sehr kritisch sieht. Unsere Umfragen wurde selbstverständlich alle unter Beachtung des Abstandsgebotes und von Beginn an unter Verwendung einer medizinischen MNB durchgeführt.
Wenig überraschend: kein einziger Fahrgast konnte sich erinnern, jemals an einer Zufriedenheitsumfrage der S-Bahn teilgenommen zu haben. Zwar haben einige Fahrgäste angegeben, öfters für Fahrgastzählungen nach ihrer Fahrkarte gefragt zu werden, aber nach der Zufriedenheit, danach wurde keiner der Fahrgäste, die wir befragt haben, jemals gefragt.
Ziemlich bitter.
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Ausfälle und Verspätungen, aber keine Informationen
Dass es zu Verspätungen und Ausfällen kommt, ist schon ärgerlich genug, richtiger Frust entsteht aber meist dann, wenn es zusätzlich auch keine Informationen gibt.
S-Bahn sieht kein generelles Informationsproblem…
Die Fahrgäste fühlen sich also, das wird sowohl aus der Community-Auswertung, wie auch aus den Umfragen, deutlich, schlecht bis unzureichend informiert.
Das sieht die S-Bahn hingegen ganz anders. So teilte uns ein DB-Sprecher auf Anfrage mit: „So wie Sie Ihr Erleben schildern, ist das selbstverständlich nicht zufriedenstellend. Dafür kann ich Sie nur um Entschuldigung bitten. Richtig ist aber auch: Ansagen haben gestern an den Bahnhöfen und in den Zügen durchgängig stattgefunden.“
Gemeint ist hier die Großstörung auf der Linie S3/S31 vom 21. Januar 2021. Viele Fahrgäste beschwerten sich auch an diesem Tag, dass sie teilweise über eine halbe Stunden an den Stationen standen, ohne auch nur ansatzweise informiert zu werden.
HAMBURG INSIDE kann diese Wahrnehmung aus eigenem Leid bestätigen. Wie es zu der offensichtlichen Diskrepanz zwischen dem, was Fahrgäste erleben, und dem, was die S-Bahn annimmt, kommt, kann von uns nicht erklärt werden.
Hier müsste sich die S-Bahn nicht nur einen Schritt auf die Fahrgäste zu bewegen, sondern mehrere Meter.
…will aber trotzdem Verbesserungen implementieren
Immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer: so ganz realitätsfern scheint die S-Bahn doch nicht zu sein.
Auch wenn sie sich zu einem klaren „ja, wir haben Probleme im Informationsfluss, aber wir arbeiten dran“ immer noch nicht durchringen kann, scheint ihr bewusst zu sein, dass es (deutlich) Luft nach oben gibt:
„Zuverlässige Informationen haben im Störungsfall höchste Priorität, weil unsere Fahrgäste dann umso mehr darauf angewiesen sind. Deshalb arbeiten wir ständig daran, das Angebot zu verbessern. Beispielsweise tauschen wir aktuell im gesamten Netz die Zugzielanzeiger aus. Die neuen Geräte bieten unter anderem mehr Flexibilität bei der Anzeige von Informationen, insbesondere bei Einschränkungen. Mit dem neuesten Update wird an den neuen Anzeigen in den nächsten Wochen außerdem die Zugposition am Bahnsteig angezeigt.“, ergänzt der Sprecher.
Sicherheitsempfinden ebenfalls problematisch
Viele Fahrgäste beschweren sich über Obdachlose, aggressives Betteln, Drogenkonsumenten und Maskenverweigerer.
Beschwerden bei Facebook werden immer mit dem gleichen Textbaustein beantwortet: man könne eben nicht überall gleichzeitig sein.
Das ist auch absolut richtig, wenn sich aber so viele Personen über fehlenden Sicherheitsdienst beschweren, oder anwesenden Sicherheitsdienst, der einfach untätig bleibt, scheint es ein generelles Problem zu geben.
Es erstaunt wenig, dass die S-Bahn den Beitrag des Fahrgastes nicht einmal mit einer Antwort würdigt.
Die Gleichgültigkeit, mit der die S-Bahn auf die Sorgen und Nöte reagiert, kommt im folgenden Screenshot besonders zur Geltung:
Wer nun glaubt, hier sei ein sarkastisch veranlagter Photoshop-Experte am Werk gewesen, der kann sich gern auch vom Original über dieses Vorzeigewerk des Social-Media-Teams überzeugen lassen.
Die S-Bahn muss handeln – dringend
Es bleibt festzuhalten, dass es bei der S-Bahn an vielen Ecken und Enden klemmt.
Die Diskrepanz, die ganz offensichtlich zwischen der Fremd- und Eigenwahrnehmung vorliegt, wird täglich größer.
Die Politik müsste handeln, es müssten Gespräche mit der S-Bahn geführt werden, der Erfolg von vereinbarten Maßnahmen müsste kontrolliert werden. Spürbar ist davon allerdings nichts.
All das scheint auszubleiben. Vor einiger Zeit wurde medienwirksam ein Maßnahmenplan erstellt und vorgestellt. Aber auch dieser Maßnahmenplan scheint keine – merklichen – Änderungen gebracht zu haben.
Update vom 28.01.2021 – Transparenzhinweis
Nach der Veröffentlichung dieses Artikel hat ein DB-Sprecher Kontakt mit uns aufgenommen und zu einigen unserer Punkten Stellung bezogen.
Dabei hat die S-Bahn klargestellt, dass sie einige Kritikpunkte zwar ebenfalls als solche erkennt, aber die Relation zu den beförderten Fahrgästen gänzlich vermisst.
Es ist auch richtig, dass unsere Stichprobe selbstverständlich keinen repräsentativen Charakter besitzt – diesen Anspruch haben wir aber auch nie erhoben. Nichtsdestotrotz sind wir der Meinung, das Stimmungsbild der Fahrgäste korrekt eingefangen zu haben. Dass die S-Bahn die von uns aufgestellte Schlussfolgerung, dass es an „allen Ecken und Enden klemmt“, nicht teilt, ist unter dem Gesichtspunkt der verschiedenen Betrachtungswinkel verständlich.
Der HVV veröffentlicht jährlich einen Qualitätsbericht, der wesentliche Kennzahlen, auch zur Kundenzufriedenheit, Pünktlichkeit, enthält.
Zur Zeit datiert der letzte veröffentlichte Jahresbericht auf das Jahr 2018, aktuellere Versionen hat der HVV bisher noch nicht veröffentlicht – hierauf hat die S-Bahn allerdings auch keinen Einfluss.
Auf einen Verweis auf die Kennzahlen aus dem Jahresbericht haben wir daher in unserem Artikel verzichtet, die Kritik der S-Bahn jedoch aufgenommen und die aktuellen Fahrgastzahlen in den Artikel eingefügt.